Der SV Darmstadt 98 hat sich noch einmal verstärkt, und zwar mit dem zuletzt vereinslosen Innenverteidiger Slobodan Rajkovic. Der 26-Jährige war zuvor beim Hamburger SV aktiv und kann auf 42 Einsätze in der Bundesliga zurückblicken. Ausgebildet wurde der 1,91 Meter große „Boban“ beim FC Chelsea, wohin er schon mit 16 Jahren wechselte. Bislang lief er vierzehnmal für sein Heimatland Serbien auf.
Lilien INSIDE hat mit Journalist und HSV-Experte Gerrit Menk über Rajkovic gesprochen.
Lilien INSIDE: Herr Menk, wie würden Sie den Fußballspieler Slobodan Rajkovic beschreiben?
Gerrit Menk: Slobodan Rajkovic ist ein typischer Innenverteidiger, kopfball- und zweikampfstark. Hat er sich einmal in einem Team eingespielt, kann er zu einer echten Verstärkung werden. Er spielt körperbetont, zuweilen vielleicht auch mal ruppig. Das mag nicht jedem gefallen oder als destruktiv bezeichnet werden, ist aber in entscheidenden Spielsituationen oder im Kampf gegen den Abstieg manchmal das optimale Mittel
Lilien INSIDE: Was ist seine größte Stärke, was seine größte Schwäche?
Menk: „Boban“ ist gefährlich bei hohen Bällen, also insbesondere bei Standards, und er ist zweikampfstark und körperlich sehr robust. Als Schwäche würde ich vielleicht herausstellen, dass er sich dem Niveau der Mannschaft anpasst. Also wenn es schlecht läuft, läuft es auch bei ihm nicht. Er ist kein Typ, der eine Mannschaft alleine aus dem Sumpf zieht. Womit ich nicht sagen will, dass er kein Leader sein kann, dazu hatte er beim HSV wohl nie die Chance.
Lilien INSIDE: Wie ist Rajkovic charakterlich einzuschätzen?
Menk: Wenn er das Vertrauen des Trainers genießt, wird er zu einem wertvollen Kämpfer. Beim HSV hat er in vier Spielzeiten leider nur 42 Spiele gemacht – unter anderem wegen schweren Verletzungen. 2014 zum Beispiel hatte er nach überstandenem Innenbandriss gerade wieder zwei Spiele gemacht, schon hat er sich das Kreuzband gerissen. Deshalb war er nie über einen langen Zeitraum zu beobachten. Unter Trainer Thorsten Fink war er nahezu abgemeldet, unter Mirko Slomka hat er 2014 eine bemerkenswerte Vorbereitung gespielt, bevor er wieder durch Verletzungen zurückgeworfen wurde. Unter Bruno Labbadia bekam er wieder seine Chance in der HSV-Verteidigung.
Lilien INSIDE: Gerade im letzten Spiel in Dortmund wurde das Motto von Trainer Dirk Schuster „Mentalität schlägt Qualität“ wieder perfekt umgesetzt. Passt Rajkovic auch dahingehend zu den Lilien?
Menk: Er ist ein bundesligaerfahrener Spieler im besten Fußballer-Alter, der bei seinem letzten Verein auf’s Abstellgleis geraten ist bzw. seinen Vertrag nicht verlängert bekommen hat. Insofern passt er genau in das Transfer-Schema der Lilien in dieser Saison. Wie auch Spieler wie Rausch oder Wagner wird er beweisen wollen, dass er die Qualität hat, in der Bundesliga mitzuhalten. Ich glaube, er kann sich schnell in die Darmstädter Mannschaft einfinden, denn er passt perfekt ins Konzept.
Lilien INSIDE: Der HSV hat 2011 zwei Millionen Euro für ihn bezahlt – jetzt spielt er in Darmstadt. Was ist ihm in den letzten Jahren passiert?
Menk: Da sind einige Dinge suboptimal gelaufen, woran er größtenteils keine Schuld trägt. Für viele HSV-Spieler (und natürlich auch die Fans) waren die letzten Jahre mehr als schwer und schlichtweg chaotisch. Bei Rajkovic kam einfach alles zusammen – zu Beginn gleich kritisch beäugt, furios gestartet, litt er wie viele andere unter den zahlreichen Trainerwechseln und zusätzlich unter teils langwierigen Verletzungen. Mal hat er super Spiele abgeliefert, unter dem einen Trainer war er aussortiert, unter dem nächsten kam er wieder ins Team, dann kam wieder eine Verletzung. Unter Bruno Labbadia hat er es zum Ende der letzten Saison wieder in die Mannschaft geschafft, am letzten Spieltag sogar ein Tor gegen Schalke erzielt. Labbadia hat das Potential in ihm gesehen, genau wie in Gojko Kacar und Ivo Ilicevic, die im Winter schon zum Verkauf standen. Jetzt sind beide feste Bestandteile im HSV-Team. Unter anderen Vorzeichen hätte Rajkovic auch zu einer festen Größe in der HSV-Abwehr werden können.
Lilien INSIDE: Fällt Ihnen eine typische Rajkovic-Spielsituation ein?
Menk: Da kommen mir zwei in den Sinn, beide aus seiner ersten Saison beim HSV. In seinem ersten Spiel (27.08.11, 4. Spieltag, 3:4 gegen Köln, Anm. d. Red.) schoss er in einer furiosen Partie das zwischenzeitliche 2:2. Er kann ja auch durchaus ein torgefährlicher Verteidiger sein. Er trug die Rückennummer 23 und ein Kommentator sagte: „Der Letzte beim HSV, der mit dieser Rückennummer traf, war Rafael van der Vaart.“ Das hat sich irgendwie eingeprägt. Die andere Situation war leider weniger schön, habe ich aber auch immer mit „typisch Rajkovic“ verbunden. Gegen den 1. FC Kaiserslautern (So. 30.10.11, 11. Spieltag, 1:1, Anm. d. Red.) flog er früh mit Rot vom Platz, er war etwas ungestüm und mit dem Ellenbogen voran in den Zweikampf gegangen. War in meinen Augen eine vertretbare, aber keine zwingend notwendige Entscheidung.
Lilien INSIDE: Aytac Sulu und Luca Caldirola harmonieren in der Innenverteidigung bislang gut, wird Rajkovic einen von beiden auf lange Sicht verdrängen?
Menk: Die Qualität hat er auf jeden Fall. Ob es dazu kommt, entscheidet letztendlich der Trainer. Allerdings geht es meines Erachtens nicht darum, jemanden zu verdrängen, sondern um die wachsende Qualität im gesamten Team. Jeder Spieler einer Mannschaft sollte wichtig sein, egal ob Stammelf oder nicht. Eine Mannschaft sollte idealerweise auf jeder Position doppelt besetzt sein, so qualitativ wie möglich. Spätestens wenn Sulu oder Caldirola mal verletzt oder gesperrt sein sollten, wird Darmstadt 98 froh sein, einen Slobodan Rajkovic in seinen Reihen zu haben.