07.07.15 /// „Rausch und Darmstadt 98? Wie die Faust auf’s Auge!“ – Lilien INSIDE-Interview mit Jonas Schulte und Björn Thar

Mit Konstantin Rausch hat der SV Darmstadt 98 einen neuen Defensivspieler verpflichtet. Der 25-Jährige bringt vor allem aus seiner Zeit bei Hannover 96 einiges an Bundesligaerfahrung mit, konnte aber zuletzt beim VfB Stuttgart keine große Rolle mehr spielen.

Björn Thar, Stadionmoderator im „Bölle“ und FFH-Reporter Jonas Schulte stammen beide aus der Region Hannover, sind Kenner von „96“ und haben Konstantin Rausch deshalb nie aus den Augen verloren.

Für Lilien INSIDE schätzen sie gemeinsam den neuesten Zugang der „Lilien“ ein.

 

Lilien INSIDE: Herr Thar, Herr Schulte, wie würden Sie Konstantin Rausch als Spielertypen beschreiben?

 

Björn Thar: Für mich ist „Kocka“ Rausch ein sehr flinker, ideenreicher Linksverteidiger mit viel Zug nach vorne. Nicht ohne Grund wird oft angegeben, dass er auch auf der linken Mittelfeld-Position und sogar auf dem Flügel spielen kann. Seine beste Waffe sind mit Sicherheit die scharf hereingezogenen Flanken von der linken Seite, auch lange Pässe und Flügelwechsel gehören zu seinen Stärken. In der Arbeit nach hinten sehe ich jedoch einige Defizite, vor allem in der Rückwärtsbewegung bei Ballverlust.

 

Jonas Schulte: Mir hat vor allem seine Offensiv-/ Defensivbalance imponiert: Seine Arbeit „hinten drin“ hat er immer solide erledigt und trotzdem auch viel Mut nach vorne bewiesen: Wie Björn es eben schon angesprochen hat, schaltet er sich immer wieder mit nach vorne ein und hat dadurch auch oft für Gefahr in des Gegners intimer Zone gesorgt.

 
Lilien INSIDE: Rausch hatte in Hannover seine beste Zeit, war sehr beliebt beim Publikum. Beschreiben Sie doch mal eine typische Spielsituation.

 

Thar: Balleroberung im Mittelfeld – Umschaltspiel nach vorne. Rausch läuft sich auf der linken Seite frei, auch weil er schneller reagiert als seine Gegenspieler. Er bekommt das Zuspiel, läuft die linke Seite runter und flankt auf Höhe der Strafraumgrenze den Ball gefährlich auf den Elfmeterpunkt.

 

Schulte: Treffende Beschreibung, Björn. Er ist aber auch schon gerne mal nach innen gezogen und hat selber draufgehalten. Ich schaue mir heute noch gerne den Eckball gegen Bayern München an: Ecke Rausch kurz ausgeführt auf Jan Schlaudraff, der legt wieder ab auf Rausch, der zieht aus spitzem Winkel in den Strafraum ein und hämmert das Ding mit Speed ins lange Eck. Ein Wahnsinn.

 

Lilien INSIDE: Trainer Dirk Schuster liebt Kämpfertypen – haben sich da zwei gesucht und gefunden?

 

Schulte: Definitiv. „Kocka“ Rausch ist auch in Hannover Bällen hinterhergelaufen, die manch anderer schon verloren gegeben hat. Außerdem ist er ein bescheidener Spieler, kein Freund dicker Karren. Er hat in seiner Hannoveraner Zeit ja auch lange in einer WG mit einem anderen Jugendspieler gewohnt. Aus Schickimicki macht er sich offenbar nicht so viel. Das passt wie die Faust aufs Auge zu Darmstadt.

 

Thar: Da gebe ich dir recht, Jonas. Allerdings ist es bei ihm auch ein wenig tagesformabhängig: Läuft es bei ihm von der ersten Minute an gut, heißt, die Zuspiele kommen an, er gewinnt den Großteil seiner Zweikämpfe – dann kommt auch sein Kämpfertypus zum Vorschein. Er zeigt eben manchmal mehr, manchmal weniger Präsenz auf dem Platz.

 

Lilien INSIDE: Rausch ist von Haus aus Linksverteidiger. Kann er es auch rechts, oder können nur entweder Fabian Holland oder Rausch spielen?

 

Schulte: Ich glaube, der Rausch ist links besser aufgehoben. In Hannover ist er rechts so gut wie nie in Erscheinung getreten, wenn ich mich recht erinnere. Aber vielleicht ist das ja eine noch verborgene Qualität. (lacht)

 

Thar:Wenn ich sein Trainer wäre, würde ich ihn nur links spielen lassen. Eventuell ihn auch mal weiter vorne im Mittelfeld oder gegen starke Gegner, wo das ganze Spiel von Grund aus defensiver ausgerichtet ist, auf dem Flügel spielen lassen. Aber grundsätzlich immer links. Sein linker Fuß ist einfach viel stärker als der rechte. Holland hingegen würde ich auch zutrauen auf der rechten Seite einen guten Job zu machen.

 

Lilien INSIDE: Nach seinem Wechsel nach Stuttgart lief es für Rausch nicht mehr gut. In zwei Jahren hat er nur 25 Partien absolviert. Zuletzt musste er sogar in der U23 ran. Wieso?

 

Schulte: Tja, wie das immer so ist. Wenn die Trainer nicht auf einen setzen, dann verliert man Spielpraxis, kommt aus dem Tritt und findet sich schnell in der U23 wieder. Beachtlich allerdings, wie klaglos er das in Stuttgart scheinbar hingenommen hat.

 

Thar: Das stimmt! Ich sehe aber als weiteren wichtigen Aspekt noch seine Heimatverbundenheit. Im Alter von sechs Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Aufgewachsen ist er in Lachendorf, unweit von Hannover, und spielte von da an nur in der Region. 2005 kam dann der Wechsel in die Jugend von Hannover 96. Stuttgart war also die erste richtige Station außerhalb der Heimat. Es wird in Darmstadt darauf ankommen, wie gut er von Fans und Spielern aufgenommen wird und ob er sich hier in der Umgebung heimisch fühlen kann. Das Mannschaftsgefüge ist aber so gut bei den Lilien, dass ich das Gefühl habe, dass er es hier packen kann.

Zum anderen finde ich, dass er in das Slomka’sche System viel besser gepasst hat, als in jene von Thomas Schneider, Huub Stevens oder Armin Veh. Teams, die nicht lange den Ball halten, sondern schnell umschalten und bei Torabschlüssen viel Risiko gehen, liegen ihm mehr. Das hat er in Stuttgart so nicht vorgefunden.

 

Lilien INSIDE: 175 Bundesligaspiele sind für Darmstädter Verhältnisse eine große Zahl. Ist Rausch einer, der auch kommunikativ vorangeht oder sich eher auf dem Platz seinen Respekt verschafft?

 

Thar: Klar sind 175 Bundesligaspiele ein vorzeigbarer Wert. Allerdings muss sich Rausch nach den negativen Erlebnissen erstmal wieder fangen und zu sich selbst zurückfinden.

 

Schulte: Respekt verschafft er sich sicher, ja, aber nicht durch große Worte. Ich habe ihn als ruhigen Spieler in Erinnerung, der sich vor allem durch seine Leistungen auf dem Platz Anerkennung verschafft hat, zumindest bei 96.

 

Lilien INSIDE: Was ist seine größte Stärke, was seine größte Schwäche?

 

Schulte: Seine Dynamik und der Zug zum Tor sind sicher seine große Stärke. Aus technischer Sicht denke ich: Ein Messi ist nicht an ihm verloren gegangen, wenn man das als Schwäche ausmachen will. Er spielt halt schnörkellos zielstrebig.  

 

Thar: Sein linker Fuß ist eine Waffe: Seine Flanken sind genial, sein Tempo auch. Die fehlende Konstanz würde ich als Schwachpunkt ausmachen. Da muss „Kocka“ in Darmstadt echt dran arbeiten. Aber ich glaube, dass er hier deutlich mehr Chancen und Zeit bekommen wird als in Stuttgart.

 

Lilien INSIDE: Konstantin Rausch und der SV Darmstadt 98 – wird das eine erfolgreiche Zusammenarbeit?

 

Thar: Das kann auf jeden Fall erfolgreich werden. Schon während der Gerüchte um den Abgang von Leon Balogun habe ich gesagt, dass Rausch ein guter Ersatz für die Außenverteidigerposition sein kann. Er ist jung, hat noch Entwicklungspotenzial, hat in Hannover unter Slomka aber auch schon gezeigt, dass er ein vielseitiger Spieler ist. Vieles hängt davon ab, ob er zu alter Stärke zurückfindet und vielleicht sogar noch einmal was zusetzen kann.

 

Schulte: Das sehe ich ähnlich.Die Lilien dürfen sich sicher auf einen fußballerischen, wie menschlichen Gewinn freuen. Mit seiner Bescheidenheit ist er in Darmstadt genau richtig. Außerdem ist Darmstadt perfekt für ihn, weil er nach einem Karriereknick jetzt die Möglichkeit hat, sein zweifellos hohes Potenzial unter Beweis zu stellen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Stuttgart für ihn nur so etwas wie ein Karriere-Betriebsunfall war.