08.10.14 /// Interview mit den Machern von „ultrapeinlich“

Heute mal ein außergewöhnlicher Beitrag, der Aufmerksamkeit für „ultrapeinlich“ erzeugen soll. Viel Spaß beim Lesen!

 

„ultrapeinlich“ ist ein Blog auf Facebook, der seit März besteht und mittlerweile über 3000 likes sein eigen nennt. Die Macher wollen gegen Homophobie, Diskriminierung, Rechtsradikalismus vorgehen, indem sie mit ihren Beiträgen Aufmerksamkeit auf einzelne Aktionen in den Stadien, aus den jeweiligen Fanszenen oder auch auf einzelne Aufkleber oder Graffiti lenken.

Im Interview spricht Mario (Name geändert) über die Ziele von ultrapeinlich, gute Vorbilder und Strategien für den einzelnen Fan.

 

Hallo Mario, du bist einer der Macher von ultrapeinlich. Woher kommt Ihr denn ursprünglich?

 

Wir sind drei Leute, die aus verschiedenen Ultra-Gruppierungen aus ganz Deutschland kommen. Wir sind gut befreundet, und wir haben uns überlegt, dass wir mithilfe unserer Kontakte diesen Blog aufbauen wollen. Ziel ist ein Umdenken innerhalb der aktiven bzw. der Ultra-Szene bezüglich Diskriminierung, Homophobie und Rassismus zu bewirken. Außerdem wollen wir eine stetige Aufmerksamkeit für diese Thematik erzeugen, abseits der üblichen kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Medien. Konkret: Wenn irgendwo ein eindeutiges Spruchband gezeigt wird, dann sind wir da. Auch nach zwei oder mehr Wochen ist dieser Fehltritt bei uns zu sehen, er geht nicht vergessen. Ganz generell ist uns aber wichtig, dass wir nicht nur kritisieren und alles nur schlechtmachen wollen. Es ist ja glücklicherweise nicht alles schlecht (lacht).

 

Ein Vorwurf der Euch immer wieder gemacht wird, ist, dass Ihr komplette Szenen in Sippenhaft nehmt. Was entgegnet Ihr darauf?

 

Das ist eine sehr komplexe Frage, die auch von Szene zu Szene unterschiedlich zu beantworten ist. Generell ist „Fanszene“ ja auch ein etwas konstruierter Begriff und nicht zwangsläufig alle Teile einer rechten Gruppe sind z. B. Neonazis, ebenso wie eine eher linke Vereinigung nicht nur Kommunisten anzieht. Dennoch tragen alle Leute in der Kurve eine Verantwortung. Da muss man sich zunächst fragen, ob man zum Beispiel gewisse Gesänge mittragen möchte oder nicht.

Da verschließen manche die Augen. In einigen Städten ist es ja auch Gewohnheit, gewisse Grenzen zu überschreiten.

 

Weiterhin unterstellen Euch einige, dass Ihr gegen Ostvereine hetzt. Was sagt Ihr dazu?

 

Keine Szene soll schlechter dargestellt werden, als sie ist. Wenn es bei einigen Vereinen eben häufiger Vorfälle gibt, dann ist das halt so. Generell sind aber leider in ganz Deutschland solche Fälle zu finden.

 

Was ratet Ihr betroffenen Vereinen?

 

Eine klare Positionierung. Ein gutes Beispiel ist Borussia Dortmund. Der BVB hat in den letzten Jahren in die Fanbetreuung investiert. Das hat nachweislich zu Erfolgen geführt, die Zahl der Vorfälle ist zurückgegangen. Das ist natürlich auch für den Verein wichtig, da er letztendlich auch ein Wirtschaftsunternehmen ist. Das ist positive Publicity. Seit 2009 gibt es beispielsweise Ausflüge nach Auschwitz, zuerst organisiert von The Unity. Mittlerweile gibt es auch Überlegungen für eine Jugend-Anlaufstelle in Lubin, in der Nähe von Auschwitz. Stichwort Aufklärung.

Auch Werder Bremen hat es nach dem Ende der eastside gut gemacht, da sie sich klar positioniert haben und den neuen anti-faschistischen Gruppen den Rücken gestärkt haben. Das ist für uns einer der Vorzeige-Vereine, die Hooliganszene mal ausgeblendet, das ist generell ein anderes Thema.

Ausgeklammert sei dabei die momentane Diskussion um den Vorfall beim Spiel des VfB Lübeck gegen die U23 von Werder, welche von Seiten der Bremer sehr eigennützig geführt wird (einem Werder-Spieler wird vorgeworfen, den Hitler-Gruß als Torjubel gezeigt zu haben, Anm. d. Red.).

Auf der anderen Seite gibt es Vereine, die sich bei solchen Themen eher träge und unmotiviert zeigen. Und auch auf der obersten Ebene, bleibt noch viel Arbeit: Dass der DFB im Millerntor „Kein Fußball den Faschisten“ abhängt (im Vorfeld eines Länderspiels, Anm. d. Red.), sagt einiges aus. Das zeugt von keiner guten Einstellung.

 

Fußball lebt von Emotionen. Was antwortet Ihr Menschen, die Euch zurufen: „Macht euch doch mal locker, man muss doch gerade im Stadion auch mal fünf gerade sein lassen können!“

 

Da sind die Argumente meist auf den „unpolitischen Raum“ Stadion gemünzt. Aber für uns gibt es keinen unpolitischen Raum, jede Handlung ist im Grunde politisch. Und gerade in einem großen gesellschaftlichen Raum wie einem Stadion mit zigtausend Besuchern, kann es nicht sein, dass sich gewisse Leute alles herausnehmen.

Wenn ein betrunkener Banker im Stadion meint, Minderheiten wie Dunkelhäutige oder Homosexuelle beleidigen zu können, geht das einfach gar nicht.

Bezüglich der Emotionen: Es gibt auch eine gewisse Bandbreite von Anti-Gesängen, die nicht homophob oder ähnliches sind und trotzdem die Abneigung gegenüber des Gegners mehr als nur verdeutlichen. Die reichen uns auch bei einem Derby völlig aus, da sollte man sich auf einem gewissen intellektuellen Niveau begegnen.

 

Angenommen, man ist jemand aus der siebten, achten Reihe eines Fanblocks, der sich definitiv zur aktiven Szene zählt, aber mit einigen Grenzüberschreitungen seiner Gruppe bzw. Szene nicht einverstanden ist. Was kann man denn als einzelner in einer großen Gruppe unternehmen?

 

Ich würde vielen Leuten grundsätzlich erstmal raten, sich zurückzuhalten und nichts auf eigene Faust zu unternehmen. Da kann es zu Handgreiflichkeiten oder schlimmerem kommen. Vielmehr gilt es, für Gewalt- oder Diskriminierungsopfer da zu sein und ein Bewusstsein für die anderen Mitglieder der Kurve zu schaffen. Man muss Dinge sehen wollen, man muss die Augen aufmachen. Und wenn man selbst nicht die Persönlichkeit oder den Mut hat, um etwas zu ändern bzw. anzusprechen, dann muss man Solidarität mit diesen Leuten an vorderster Front zeigen, denn es gibt immer welche, die ihren Kopf hinhalten. Dazu ist es immer hilfreich, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen und auch die Nähe zu den Fanprojekten zu suchen, wenn diese ebenfalls antidiskriminierende Arbeit leisten. Generell ist es aber schwierig zu bewerten, was der richtige Weg ist, da jede Szene anders funktioniert und individuelle Lösungsansätze benötigt.

 

Seit März gibt es ultrapeinlich. Habt Ihr schon etwas bewirkt?

 

Über 10.000 Leute sehen unsere Beiträge bei facebook, das ist ja eine große Anzahl. So schaffen wir Aufmerksamkeit in einer Größenordnung, mit der wir so schnell gar nicht gerechnet haben. Neben den polemischen und kritischen Stimmen erhalten wir auch zahlreiche positive Rückmeldungen, die zeigen, dass es viele Aktive gibt, die sich mit unseren Zielen und Auffassungen identifizieren.

Außerdem führen wir wie bereits angesprochen praktisch ein kleines Archiv, das gewisse Regelmäßigkeiten aufzeigen kann. Mal sehen, wie es generell weitergeht, ein gutes halbes Jahr ist ja auch noch nicht so lange.

Aber wir haben auch noch mehr vor, wir haben da eine Idee im Kopf, die vor allem auch die positiven Aspekte der Gruppierungen in Deutschland herausstellen soll.

 

Was sind für Euch die Voraussetzungen für einen perfekten Stadionbesuch?

 

Jeder Mensch sollte sich im Stadion wohlfühlen. Egal welche Nationalität, welches Geschlecht, ob Normalfan oder Ultra. Die Kurven sollten diskriminierungsfrei sein. Da muss sich der jeweilige Verein stark für einsetzen. Gegen Nazis, gegen Homophobie, etc. Das sehen wir als viel wichtiger an, als irgendeinen sportlicher Erfolg und teure Spieler. Das erwarten wir von den Vereinen und können nur alle ermutigen, sich offensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

 

facebook.com/ultrapeinlich